Collection: Eugen and Emma Klee Letters
Author: Magdalena Cherdron (Berdel)
Recipient: Eugen Klee
Description: Letter from Magdalena (“Lenchen”) Berdel to Eugen Klee, November 22, 1919. “Lenchen” Berdel was a daughter of Eugen Klee's first cousin Magdalena “Lenchen” Cherdron.
Original text
[page 1:]Otterburg, 22. Nov. 19 Meine Lieben! Euer lieber großer Brief vom 24/Sept kam am 26. Oct. un meinen Besitz & brachte uns die hocherfreuliche Kunde Eures Wohlergehens. Wie wohl that es, nach 4 endlos langen, bangen Jahren wieder gute Nachricht von Euch zu haben, nachdem unsere Gedanken Euch so tausendmal mit Sehnen gesucht. Ihr scheint als echt glückliche Menschen, wo eines für das andere lebt, ein schönes harmonisches Leben zu führen, so wie es schon ganz früher das Ideal meines lieben Vetters war. Geordnete Verhältnisse innen & außen bilden die Grundlage zu solchem Leben & eben dieser Grundlage, diesem festen Boden, sind wir verlustig. [page 2 (sheet 2, left-hand side):] geworden durch schrecklichen Krieg. Doch nun, nachdem dieser überstanden, durch die Tapferkeit & Treue unserer Soldaten geschützt, daß kein einziger Schuß in dem von Feinden umringten Vaterlande fiel nun arbeiten die Wühler & Faulpelze, die Sozialdemokraten, & lassen einen nicht zur Ruhe kommen. Jetzt ist Unfriede & Krieg im Lande und wenn nicht alle Anzeigen trügen, gehen wir einer furchtbar schweren Zeit entgegen, die an Not und Elen die Kriegsjahre bei Weitem übertreffen wird. Die Rationen in Brot tgl. 200gr) Kartoffeln tg. 4/5 lb.1 = cir. 6 Stk.)&c. &c. . daß sind so karg vorgeschrieben, daß es nur ein Vegetieren ist dabei ist Ersteres mit Kohlrabi, Kastanien & weiterem Undiffinierbare gemischt, daß der Bäcker in Friedenszeiten mit diesem Gepansche unbarmherzig [page 3 (sheet 2, right-hand side):] in Nummer Sicher gewandert wäre. Und trotzdem bitten wir inbrünstig "unser tgl Brot gieb uns heute", mehr denn je. Wurstwaren gibt es garkeine (d.h. jetzt im Saargebiet) Fleisch alle 3-4 Wch. pr Person 160 gr. Alles andere, was unbedingt zum Leben gehört nur in ganz kleinen Mengen gegen Lebensmittelscheine. In 14 Tg. 1 Ei &c. In Scheunen & Kellern der fleißigen Selbstversorger, die sich im Schweiße ihres Angesichtes für den Winterkeller sorgen, stiehlt man das Schönste & Beste und das Erübrigte wird soeben durch Gensdarmerie an Ort & Stelle besichtigt, wehe dem, der zu viel oder versteckt hat. Alles wird gesammelt und an die Müßiggänger & Schreier verteilt, die sich das Reich durch seine oft übergroßen Kriegsunterstützung selbst gezogen hat. Die Arbeitsscheuen müßten ernährt werden & die Fleißigen verlachte [page 4:] man. So brachte uns die oft verkehrte Gesetzgebung den Ruin, denn nur diese unlauteren Elemente haben den Zusammenbruch herbei geführt. Sie hatten ja nichts zu riskieren, aber die besitende Klasse muß nun bluten. Welch ein Kontrast gegen dem alten Deutscheland, in dessen geordneten Verhältnissen man sich so beschützt & gesichert fühlte. Wie mit dem oben gesagten ist es auch mit Wäsche Kleidungsstücken, d.h. die Bezugsmarken hiefür sind weggefallen, aber alles kostet enormes Geld & mit Zittern & Zagen entfaltet man die Rechnungen, die Alle sofort beglichen werden müssen. Für ein p.2 Stückchen Hemden & Kleiderflanellen (bunte Sachen für Arbeiter & Landleute) zahlten wir kürzlich 14000 Mk. Wer momentan über genügend Bargeld verfügt, [page 5:] kann einen schönen Umsatz erzielen. Mit welcher Erwartung und Spannung wir unter diesen Umstände Eurer hochherzigen Sendung entgegen sahen, kann ich Euch nicht Schildern. Besonders unsre Tildÿ, hat, nachdem aus dem 14j Kind ein 19 jhr Frl. geworden ist & mit dem Verwachsen gerade in diese kritische Zeit fiel, sehr viel Aufbesserung nötig. Sie freut sich wie ein Kind auf's Christkindchen, Hoffentlich kommt alles gut in unseren Besitz, nachdem Seel. Jacob Krauß, Kirchner, Lacmann, Reinard, Wagner & alle schon große & größere Sendungen von sorgenden Anverwandten erhielten. Natürlich geht sofort Nachricht an Euch ab & jetzt schone versichere ich Euch unseren tiefgefühlten Dankes für Eure Liebe & Güte. [page 6 (sheet 5, left-hand side):] Am 14. ds. haben wir in kleinem Verwandtenkreise & intimsten Freunden Grossmütterchens 70. Geburtstags gefeiert. In hervorragender geistiger Frische & nimmermüder Arbeitskraft ist sie heute noch das Urbild einer echt deutschen Frau. Sie besitzt heute nich dieselben munteren Füße & Hände, dieselben roten Backen, denselben Geist & Humor, wie du sie von früher kennst. Sie ist meiner Schwester eine unbezahlbare Stütze in Haus & Hof, sogar in meiner schweren Zeit war sie nicht zu bewegen mir beizustehen & von ihrem altgewohnten Arbeitsfelde zu lassen. Mit grossem Interesse haben wir von den Inhalt der mitgesanden Zeitungsausschnitte Kenntniss genommen & freuen uns über das hochherzige Bestreben der deutschamerikaner, ihren leidenden Mit- [page 7 (sheet 5, right-hand side):] menschen so tapfer beistehen zu wollen. Neid, Hass & Misgunst der Völker muss wieder vollständig verschwinden & alle früheren Verbindungen, geschäftliche oder gesellschaftliche, müssen wider in alte Bahnen geleitet werden. Wir älteren werden dies ja wohl nicht mehr erleben, jetzt vorläufig ist Hilfe & Unterstützung über all von Nöten & jedes Menschen Pflicht wäre es, helfend einzugreifen, soweit es Kräfte und Umstände erlauben. Wir selbst leben fleißig, äusserst genügsam & sparsam in der üblen Misere weiter und suchen durch kleine Gegenseitige Aufmerksamkeiten diesem Leben noch schöne Seiten abzugewinnen. Hauptsache ist, wir haben unseren lieben sorgenden Vater wieder & bleiben hoffentlich noch einige Jahre gesund, dass wir den großen Verlust wieder auswetzen können [page 8:] Wie eine Erlösung empfand ich die Mitteilung, daß Lizzie verheiratet ist; hoffentlich konnte sie sich gut versorgen & ihrem Kinde einen Vater geben. Ich wünsche ihr von Herzen alles Gute! Karl Scheuermann ist sei Frühjahr auch verehelicht. hat in Gemeinschaft seiner Frau, seine arme Mutter durch Beschimpfungen & tätliche Misshandlungen soweit gebracht, daß Lenchen mit 56 Jahr. als Haushaltering in fremdem Hause ist. Es ist ein erbärmliche Bube & wenn es eine Gerechtigkeit gibt, geht es ihm nimmermehr gut. Lenchen hat gottlob einen befriedigenden Wirkungskreis gefunden. Ich lege Dir hier ein Teil der lieben alten Otterberger Großgasse bei - kennst Du das Haus in dem du so manch schöne Stunde mit uns verbrachtest? Schwester Mathilde mit ihren beiden Kindern auf der Treppe! Mein ganzer Brief ist ernste Prosa, gellt - Schw. Math. kann alles besser in Poesie kleiden, denn ihr blieb die Prosa des Lebens durch die versch. Verhältnisse größtenteils erspart. Nehmt zu den bevorstehenden Feiertagen unsern Handschlag & innigen Freundschaftskuß! Gottes Segen Euch Lieben & alles Schöne & Gute. In Liebe eure L. Berdel & [?] Familie? Sohn? [/?].3 1. "lb." stands for "Pfund". 2. "p." = "paar". 3. {Names are cut off: rescan and/or compare with other letters.} Notes lb. stands for "Pfund". ↩ "p." = "paar". ↩ {Names are cut off: rescan and/or compare with other letters.} ↩
Letter metadata