Collection: Marie Hansen Taylor Correspondence
Author: Marie Hansen (Taylor)
Recipient: Lina Braun (Hansen)
Description: Letter from Marie Taylor to Lina Hansen, March 14, 1876.
Original text
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N.Y. 142. East 18th St.
März 14. 1876
Meine liebste Mutter!
Mit großem Bedauern sehe ich aus Deinem, vor einigen Tagen eingetroffenen Brief vom 19. Febr., daß Du wieder einmal krank zu Bette gewesen bist. Dies erfüllt mich mit großer Sorge, zumal Du Deinen schwachen Zustand mit auf Rechnung des Klimas zu setzen scheinst. Ich möchte Dich sollte dies wirklich der Fall sein, inständig bitten müssen sobald als möglich, wenigstens eine Zeitlang nach Gotha zurückzukehren, damit die heimathliche Luft Dich erst kräftige u. stärke, ehe Du die Erfüllung Deiner Aufgabe weiter fortsetzest. Die gute Tante hat ja Platz genug für einen Gast u. wird froh sein Dich bei sich aufnehmen zu können. Und dann hättest Du nun auch Wilhelm's im selben Hause u. könntest Dich an den Kindern freuen. Könnte dann nich Ida Regfeld bei Hans u. den Kindern bleiben, solange Du Dich in Gotha erholst? Freilich würde ich Dir nicht anrathen vor dem Mai dahin zu gehen, denn bis dahin ist das Wetter doch gewöhnlich recht unfreundlich oder wenigstens veränderlich u. frostig. Könntest Du aber Mai u. Juni - vielleicht auch noch Juli, in Gotha zubringen, so würde Dir das gewiss recht wohlthun. Ach, liebe Mutter, wie wünschte ich, Du könntest Dich dazu entschließen!
August u. Doris müssen eine recht angstvolle Zeit mit den kranken Kindern
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durchlebt haben. Ich hoffe recht von Herzen, daß auch bei Andreas nun alle Gefahr beseitigt ist. - Meine Kranken sind nun längst wieder hergestellt u. scheinen es nicht mehr gewesen zu sein. Es ist aber ein böser März, den wir wie fast jedes Jahr haben. Die Sprünge in der Temperatur sind gar zu empfindlich. Gestern Morgen, zum Beispiel, ein starkes Gewitter - heute durchdringender kalter Nordwestwind, so dass man sich, trotz klaren Sonnenscheins kaum in den Zimmern erwärmen kann. Wie schroff sich die Dinge hier gegenüber stehen, kannst Du im kleinen daran sehen, dass ich heute früh auf dem Markte frischen grünen Gartensallat ([?] Hänschen [/?]) u. neue Kartoffeln (zu Schiff von den Bermuda Inseln gekommen) einkaufte, während sich die Leute im Markthaus die dem Erfrieren nahen Hände rieben u. blaue Gesichter hatten. Ich habe nämlich heute ein paar Gäste zu Tische, deswegen habe ich besondere Einkäufe gemacht, denn für gewöhnlich haben wirs einfacher.
15. März - Erst heute komme ich wieder dazu weiter an Dich zu schreiben. Wir sind in dieser Zeit recht durch die Ansprüche der Geselligkeit in Beschlag genommen. Dazu kommt eine Reihe von Vorlesungen die in einem Privathaus gegeben werden von einem der geistreichsten Shakespeare- Gelehrten aus Boston u. die einen Vormittag um den anderen stattfinden. [?] Dies [/?] in den Tag hinein. Übermorgen
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wird die letzte sein. Dann trachte ich jetzt unsere Gesellschaftsschulden abzutragen. - Wir müssen - wenn wir überhaupt einladen - über 80 Einladungen aussenden. Da nun unsere Wohnung viel zu klein dazu ist, so müssen wir sie über 4 verschiedene Abende vertheilen. Am letzten Sonntag hatten wir die erste, morgen werden wir die zweite u. den kommenden Sonntag die dritte kleine Gesellschaft haben. Die vierte verschiebe ich einstweilen noch etwas. Denke Dir liebe Mutter, dass ich Ida wahrscheinlich verlieren werde. Eine Bekannte von ihr, die gern Heirathen zu machen scheint, hat sie einem Wittwer mit 3 Kindern empfohlen u. er kommt nächsten Monat (er wohnt weit von hier) um Ida's Bekanntschaft zu machen. Meiner Schneiderin gegenüber spricht sie über die Heirath, als ob es eine ausgemachte Sache wäre. Was sagst Du dazu? Schreibe es aber lieber Tante noch nicht. Ich mag nicht als Klätscherin erscheinen. Bayard geht jetzt täglich nach der Tribune Office, verlässt das Haus um 11 Uhr u. kommt erst, gegen 6 Uhr, zum Essen zurück. Sein Gehalt dafür beträgt etwa 4,000 Dollars, was einstweilen doch eine große Hülfe ist, bis die Tribüne erst wieder etwas abwirft. Nur gefällt mir nicht, daß er im Sommer wird hier bleiben müssen, während wir auf's Land gehen. Du wirst Dich freuen, daß ihm die Ehre zutheil
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geworden ist die Ode zu schreiben für die hundertjährige Feier am 4ten Juli zu Philadelphia. Erst heute Morgen ist die Nachricht darüber eingetroffen. Lilian studirt fleißig fort u. führt im Ganzen ein stilles u. einförmiges Leben. Ein großes Vergnügen ist ihr die Reitstunde, die sie jeden Freitag Nachmittag in einer Reitbahn mit mehreren ihrer Schulkameradinnen nimmt. Eine von ihren Freundinnen reist am 4. April nach Europa ab, um sich eine Zeitlang bei einer befreundeten Familie in Zürich aufzuhalten; da wollen wir ihr dann erst noch eine kleine Abschiedsfete geben u. so auch zugleich etwas zu Lilians Amüsement beitragen. - Der Brand, liebe Mutter, von dem Du gelesen, hat uns durchaus nicht berührt. Er war in einiger Entfernung u. hat nur Kaufleute betroffen. Wir erfuhren erst am folgenden Tag durch die Zeitung davon.
Morgen, liebste Mutter werde ich recht viel Deiner gedenken - in Liebe u. in Sorge. Dich nicht kräftig oder gar unwohl zu wissen ist mir um so schmerzlicher, als ich Dich einsam weiß. Aber ich hoffe doch, daß Du Dich im Sommer endlich recht erholen sollst. Bayard u. Lilian senden herzliche Grüße. Grüße von mir Hans u. die Kinder.
In treuer Liebe
Deine Tochter
Marie
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