Collection: Marie Hansen Taylor Correspondence
Author: Marie Hansen (Taylor)
Recipient: Lina Braun (Hansen)
Description: Letter from Marie Taylor to Lina Hansen, May 5, 1875.
Original text
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New - York, 5. Mai 1875
Meine liebste Mutter!
Recht vielen Dank für Deinen lieben langen Brief vom 11ten April, der mir doch im Ganzen genommen gute Nachrichten brachte. Der Schnupfen, welcher Dich geplagt hatte, wird sich ja wohl bald gegeben haben u. Du Dich hoffentlich jetzt am Frühlingswetter freuen u. stärken. Bei uns hat es bisher immer noch nicht Frühling werden wollen - es ist wirklich unerhört. Immer von neuem wieder bläst der bitterböse kalte Wind vom Westen her u. hält alles im natürlichen Gang zurück. Noch kein Blättchen hat sich an den kahlen Bäumen hervorgewagt, kein Strauch blüht, kaum daß die [insertion:] wilden [/insertion] Frühlingsblumen, die sonst schon im März zum Vorschein kommen, sich blicken lassen. Von Cedarcroft kam diesen Morgen ein Brief, welcher meldete, daß vorgestern Morgen das Eis 1/4 Zoll dick war u. die Gehölze noch so nackt stehen wie mitten im Winter! Dennoch haben wir im Sinn dort Ende der Woche einen kleinen Besuch abzustatten, wir wollten, damit Lilian nicht zu viel von der Schule versäumt, am
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Freitag gegen Abend von hier weg, die Nacht in Phil.a bleiben u. dann Sonnabend früh mit dem ersten Zug nach Kennett fahren u. Montag zurück. Sonnabends hat Lilian keine Schule. Heute scheint die Sonne ganz prächtig - wenn es nur eben anhielt. Als ich heute früh zum Markte ging, war es sogar recht heiß, so daß die Pelzjacke, die ich bisher noch nicht habe ablegen können, mir zu warm wurde. Das kalte Wetter u. späte Frühjahr übt einen sehr deprimierenden Einfluß auf die Marktpreise aus. Das [?] Spargel [/?] kostet 20 pf* (1/2 Dollar) das junges [?] Hähnchen [/?] über 1 rt*reichstaler u. s. w. u.* die Kartoffeln sind so theuer u. so schlecht, daß es vortheilhafter ist neue Kartoffeln, die von den Bermuda Inseln kommen, zu kaufen. Erdbeeren, die es bereits seit Wochen auf dem Markte giebt, sind bis jetzt noch unerschwinglich für uns. Ich habe in der letzten Zeit mehrere kleine Tischgesellschaften geben müssen, die mir Vergnügen gemacht haben, da alles so gut gerieth. Mein Küchenmädchen kocht bei solchen Gelegenheiten vorzüglich (es ist fast die einzige gute Eigenschaft die sie hat) u. Ida hat sich auch mit Gewandtheit in das Servieren gefunden, an das
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man hier höhere Ansprüche macht. Bayard "bethut" sich jetzt recht zu Hause, mit ihm zieht aber zugleich größere Unruhe ins Haus. Er wird vielfältig aufgesucht - mitunter von angenehmer u. öfters auch von lästiger Seite - u. hat vorige Woche drei großen Diners beiwohnen müssen. Zwei davon waren deutsche Festessen. Vom einen wird Dir eine deutsche Zeitung berichten, die ich am Sonnabend über Bremen an Dich abschickte. Da es zu Ehren eine Hamburger Dampfschiffahrtkapitäns statt fand, glaube ich es werde Dich u. Hans vielleicht interessiren. Lilian freut sich nun doch, obgleich [insertion:] sie [/insertion] mit gleichem Eifer studirt, auf die großen Ferien, welche den 16. Juni anfangen u. bis zum Monat Oktober dauern. Ich glaube ich schrieb Dir schon, daß wir für Juli an der See, in Mettapoisett, gemiethet haben, wo wir uns dann hinwenden, wissen wir selbst nicht recht, den Monat Sept. aber beabsichtigen wir, so Gott will, in Cedarcroft zuzubringen. Alles bereitet sich jetzt schon vor die Stadt zu verlassen. Eine Anzahl Bekannten gehen in diesem Monat bereits auf ihre Landhäuser u. wer keins hat, wartet bis nächsten Monat ehe es die Stadt verlässt; nur Wenige bleiben, wie
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wir bis Ende Juni hier. Lilian hat ab u. zu noch ihre kleinen Vergnügungen. Am letzten Sonnabend war sie mit Andern hinüber nach Staten Island, in der Bay, gefahren, wo sie im Regen nach wilden Blumen gesucht, aber nur eine kleine Ausbeute von Arbutus mit nach Hause gebracht haben. Am Sonntag Abend war sie wieder ausgebeten zum Thee bei einer netten Familie im nächsten Hause, ein junges Ehepaar, welches gern junges munteres Volk um sich sieht. Die Einladung lautete: "zu Butterbrod u. Apfelkompot" u. viel mehr haben sie auch nicht bekommen; desto vergnügter sind sie aber gewesen. Morgen ist nun abermals eine kleine Gesellschaft, wo auch getanzt werden soll.
Was Du mir über August’s Verhältnisse schreibst, hat mich recht erfreut. Daß er sich so gut in Schlesien gestanden u. uns wieder so schnell eine ebenso einträgliche Stelle gefunden hat, ist ein Zeichen seiner Tüchtigkeit. Auch daß er sich bei so guter pekuniärer Stellung in Schlesien nicht hat in Unthätigkeit gefallen wollen, freut mich an ihm. Wilhelm, der in seinem Fach auch so tüchtig ist u. der nebenbei ein erfinderisches Talent besitzt, wird ja
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hoffentlich auch einmal eines Tages die Früchte seiner Mühen ernten u. sich aus den Schulden herausreißen, die ihn belasten. Ich bin froh, liebe Mutter, daß Du ihm die 5,000 geborgt hast. Es ist doch besser, daß er sie Dir schuldet, als einem Fremden, dem er vielleicht hohen Zinsfuß hätte zahlen müssen. Außerdem muß sein Antheil an den neuen Fabrikgebäuden doch gewiß auch ein so beträchtlicher sein, daß er nebst dem Hause seine ganze Schuld decken könnte. Er mag es gerade jetzt recht schwer haben u. der Kopf ihm wohl übervoll sein. Von Pulkowo habe ich noch keinen Brief erhalten, doch ist Emma sehr zu entschuldigen u. mache ich eigentlich gar keine Ansprüche an sie. Lilian behauptet an Lina geschrieben u. ihr für die Schürze gedenkt zu haben. Hat sie einen solchen Brief nicht erhalten, so müsste der verloren gegangen sein.
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Mit Ida’s Befinden geht es wieder viel besser. Sie geht aber jetzt in die Augenkur bei einem vortrefflichen deutschen Augenarzt. Dieser hat Dr. Mäushel’s [?] Behandlung [/?] ihrer Augen
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gänzlich verurtheilt. Dies ist der dritte Fall innerhalb meiner Erfahrung, in welchem Mäushel die Augenkrankheit falsch kurirt hat, oder vielmehr kuriren wollte.
Ich bin zu verschiedenen Malen unterbrochen worden u. habe jetzt nur eben Zeit diesen Brief zu schließen, um ihn rechtzeitig zur Post zu bringen. Bayard u. Lilian lassen Dich herzlichst grüßen. Letztere lässt Dir außerdem noch sagen, daß sie Dir bald schreiben würde. Grüße Hans u. die lieben Kinder recht freundlich von uns allen drei, u. möchtest Du an Gesundheit u. Kraft gewinnen, liebe Mutter. Mit inniger Liebe Deine Tochter Marie.
*Footnote, page 2: pf = deutsche Pfennige.
*Footnote, page 2: rt = reichstaler.
*Footnote, page 2: u.s.w.u. = und so weiter, und.
Letter metadata