Collection: Marie Hansen Taylor Correspondence
Author: Marie Hansen (Taylor)
Recipient: Lina Braun (Hansen)
Description: Letter from Marie Taylor to Lina Hansen, April 22, 1875.
Original text
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New - York, 31. West 61st St. April 22. 1875
Meine liebste Mutter!
Recht vielen Dank für Deinen lieben Brief vom 31. März, der mir aber leider wieder weniger gute Nachrichten über Deine Gesundheit brachte. Ich kann Dir nicht genug anempfehlen, was ich in jedem meiner letzten Briefe wiederholt, daß Du etwas ernstliches zur Aufhülfe Deiner Kräfte unternimmst. Die bessere Jahreszeit wird gewiß günstig auf Dich wirken, aber dieser Einfluß allein ist nicht genügend ein so geschwächtes Nervensystem wie das Deine wieder zu kräftigen, wenigstens solltest Du Dich darauf nicht verlassen - nicht noch einen Winter herankommen lassen, ehe Du etwas Ernstliches zur Stärkung vornimmst. Ihr habt hoffentlich wärmeres Wetter diesen Monat über gehabt, als wir. Ein paar Mal nahm es einen Anlauf zum Frühling, u. jedesmal folgte empfindliche Kälte, verschlimmert durch einen schneidenden Nord u. Nordwestwind, so daß die Sonne gar keine Macht zu haben schien. Kein Blättchen, keine Blüthe wagte sich hervor, nur das Gras ist an geschützten Stellen etwas grün gewor den. Ob der Venusdurchgang mit diesen ganz abnormen Witterungs
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erscheinungen zu thun hat? Gerade zu ihrer [insertion:] der [/insertion] Zeit setzte die Kälte bei uns ein u. seitdem ist es nicht viel anders geworden. Heute hat sich endlich der abscheuliche Wind gelegt u. die Sonne scheint warm zum Fenster herein. Vorige Woche hatten wir sogar nochmals einen tüchtigen Schneefall, dem den nächsten Tag eine Überschwemmung der Straßen folgte. Emma Lamborn war gerade zum Besuch hier u. musste all das schlimme Wetter mit durchmachen. Sie hat mir viele Grüße an Dich aufgetragen, ehe sie vor ein paar Tagen wieder abreiste. Die kalte Jahreszeit ist sehr hinderlich für Annie Carey’s Unternehmungen gewesen. Sie hat bis jetzt noch nicht viel in Bezug auf Gartenarbeit etc. fördern können. Die Gicht meiner Schwiegermutter scheint recht schlimm zu sein. Sie kann oft nicht die Tasse halten u. ist recht hülflos beim An- u. Auskleiden.
Glücklicherweise hat Bayard besseres u. wärmeres Wetter auf seiner Tour im Westen gehabt, u. ist er nun wohlbehalten zurückgekehrt. Er hat im Ganzen 130 Vorlesungen seit Oktober gehalten u. verdient wohl sich nun daheim auszuruhen. Zwei Wochen will er sich, so sagt er, Zeit [insertion:] dazu [/insertion] gönnen, dann liegt wieder Arbeit vor ihm.
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Du solltest nur meinen Mottenkönig sehen, wie groß u. üppich er steht!
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Ja, er hat sogar gestern nicht ganz ruhen können, sondern hat an einer Dichtung geschrieben, mit der er sich in Gedanken seit einiger Zeit beschäftigt hat, u. die ihm keine Ruhe lässt.
Lilian hat, glaube ich, diese Woche einen Brief von Dir erhalten, von dem ich aber nichts wissen soll. Ich erwähne es daher auch nur in Parenthese. Sie ist jetzt gerade sehr glücklich über eine kleine Gesellschaft, zu der sie morgen Abend eingeladen ist. Es ist eigentlich das Kränzchen, aber sie haben etwas besonderes vor. Es soll nämlich ein Jedes in einem Charakter aus den Dickonsschen Werken erscheinen u. die Rolle desselben den Abend über ausführen, d. h. so gekleidet sein u. sich so benehmen als ob wie die Person es in Wirklichkeit gethan hätte. Lilian stellt Mrs. Nickelby, aus "Nicolas Nickelby", vor u. hat sich schon die ganze Woche darauf vorbereitet. Sie ist recht wohl u. sieht blühend aus. In der letzten Zeit ist es etwas unruhig bei uns zugegangen. Wir haben öfters Logirbesuch gehabt oder Gäste zu Tische, deshalb war es mir nicht möglich gestern mit dem Hamburger Dampfer zu schreiben. Nächste Woche feiern die Deutschen hier die 100ste Rundreise des Hamburger Dampfschiffarths Kapitän Schwenzen, mit dem wir auch verschiedene Male gereist sind. Bayard
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wird mit dabei sein. Es wird ein Festdiner stattfinden.
Ich freue mich recht, daß August so schnell wieder ein gutes Unterkommen gefunden. In Dortmund kannst Du ihn auch einmal besuchen, es ist nicht so gar weit von Hamburg.
Hatte ich Dir denn eigentlich erzählt, daß Braisted vorigen Herbst wieder aufgetaucht ist? u. daß er sich plötzlich in Cedarcroft einstellte, nachdem wir eben von dort fort waren? Er hat sich diesen Winter über in die Nähe von Kennett durchgeschlagen u. nun hat ihn Annie für die Arbeit in Feld u. Garten gemiethet, sehr zu meinem Erstaunen, da sie ihn doch kennt u. weiß, daß er nur arbeitet so lange er sich nicht anders helfen kann.
Mit Ida geht es wieder besser Sie sieht wieder besser aus u. ist rüstiger. Diesen Sommer wird sie sich ordentlich ausruhen können, denn sie hat dann nichts zu thun, als das Logis zu hüten. Wir haben für Juli hindurch Logis u. Kost an der Küste von Massachusetts, in Mettapoisette, bei Mrs. Stoddard’s Vater im voraus belegt, u. gar nicht zu früh, denn seitdem hat er viele Anfragen gehabt. Viele unserer Bekannten ziehen
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schon nächsten Monat auf’s Land. Bayard u. Lilian senden Dir herzlichste Grüße Hans u. die Kinder grüße auch vielmals von uns. Wie nett, daß Grethchen so hübsch lernt! Mit inniger Liebe Deine Marie.
Letter metadata