Collection: Marie Hansen Taylor Correspondence
Author: Marie Hansen (Taylor)
Recipient: Lina Braun (Hansen)
Description: Letter from Marie Taylor to Lina Hansen, March 26, 1875.
Original text
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New - York, 31. West 31st St. Charfreitag, März 26. 1875
Meine liebste Mutter!
Die letzte Post hat mich reich bedacht. Neben Deinem lieben Brief; für welchen herzlichen Dank, erhielt ich auch einen langen von Tante Auguste. Dein Brief hatte sich um 8 Tage verspätet: - er kam zugleich mit der 8 Tage später datirten Postkarte an Lilian an. Ich habe deshalb, weil ich täglich auf Nachricht von Dir hoffte, meinen eignen Brief um ein paar Tage verschoben u. schicke ihn Dir nun mit dem Bremer Dampfer. Daß Du schon wieder an Fieber zu Bette gelegen, ist mir gar zu leid, u. daß Du so ganz ohne ärztliche Behandlung bei diesen Zuständen bist, ist mir eine wahre Qual. Ich möchte zu Dir übers Meer fliegen u. nach einem hom.* Arzt suchen bis ich den rechten fände! Aber ich sehe doch nicht ein, liebe Mutter, warum Du nicht in der hom. Apotheke nachfragen kannst. Du erführest so doch vielleicht von einem tüchtigen Arzt u. in einer großen Stadt kann man ja auch den Arzt schnell wieder los
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werden wenn er nicht zusagt; solltest Du also fehlgreifen, so ließ sich das abändern. Aber einen Arzt musst Du haben, liebe Mutter; u. wenn das warme Wetter kommt musst Du zur Stärkung Deiner Nerven an die See, oder aufs Gebirge. Wo die Nerven so mitgenommen sind wie die Deinigen, da gilt es etwas Gründliches zur Stärkung zu thun. Daß Ihr zwei Monate ohne Köchin habt sein müssen, ist mir sehr leid, u. gewiß auch nicht gut für Dich u. Deinen Magen, da du ja sagst das Frl. verstehe nicht viel vom Kochen. Wenn Du aber so weite Wege vor hast wie zum Steindamm, warum nimmst Du Dir dann nicht eine Droschke, liebe Mutter? Du solltest Dich ja vor Überanstrengung hüten. Ich weiß aus eigner Erfahrung wie schlimm das bei schwachen Kräften ist. - Daß August unter den bewandten Umständen von Sch. fort will, wundert mich nicht u. ist ja auch ein gutes Zeichen für sein Streben. Es thut mir aber leid, daß er nicht besser dort angekommen
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ist. Die Geschäfte stocken auch hier noch allenthalben. Doch hofft man daß es mit dem Frühjahr sich bessern soll. Wilhelm kann von großem Glück sagen, daß er so viele Bestellungen hat. Hast Du denn nun von ihm genügend Aufschlüsse erhalten u. Deine Angelegenheiten geordnet? Wenn Du nach Pulkowo schreibst, so mahne doch Lina auch einmal an uns zu schreiben. Lilian beklagt sich über sie; sie hat ihr im Juli v. J. geschrieben u. noch keine Antwort. Auch könnte sie wohl an ihrer Mutter statt, an die ich ja gar keinen Anspruch auf Beantwortung meines Briefes mache, an mich schreiben. Lilian lässt vielmals für das Rezept danken. Sie hatte von heute bis zu Ende nächster Woche Ferien. Ich habe ihr zur Gesellschaft für kommende Woche ihre Kousinen Mary u. Rose Sickels eingeladen. Sie ist immer gleich fleißig im Lernen für die Schule u. zeigt ein wachsendes Interesse für die Haupt- Studien. Es bleibt ihr nicht viel Zeit zu Anderm übrig. Bayard war
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Hast Du Dein "Die Brüder vom deutschen Hause" gelesen. Wenn nicht, so thue es doch.
einmal 5 Tage nach einander bei uns - das erstemal sei wir hier sind - u. fühlte sich so recht behaglich dabei. Es ist ihm nun um so schwerer geworden uns wieder zu verlassen. Er reiste vorgestern auf 3 Wochen nach dem Westen ab. Dies beschließt seine Vorlesungen für diesen Winter. Ich werde recht froh sein, wenn er erst wieder gesund zurück ist. Er war in der letzten Zeit oft sehr müde u. konnte nie recht ausschlafen. Es scheint ihm aber eine große Erfrischung zu sein so viel Geld zu verdienen. Er hat seit Neujahr eine Hypothek auf mehrere Tausend Dollars von unserm Gute abgelöst, alle kleinen Schulden bezahlt u. noch ein paar Tausend in der Bank stehen. Auch hat er Aussicht, bis die Tribune wieder eine Dividende auszahlt, was möglicherweise noch 2 Jahre dauern kann, fortlaufende u. einträgliche Arbeit für die Zeitung zu erhalten. Lilian’s Erziehung ist eine große Ausgabe für uns. Die Schule kostet jährlich 200 Dollars, der Klavierunterricht 2 Dollars die Stunde, die Miethe des Klaviers monatlich 15 Dollars. Wir gedenken indeß das Klavier im
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Herbst zu kaufen, zu in welchem Falle die bereits gezahlte Miethe vom Kaufpreis abgenommen werden soll, laut Kontrakt. - Wir haben noch immer Winter! Ein Schneesturm folgt auf den andern u. oftmals thaut es im Schatten selbst mittags nicht. Ein Winter wie dieser ist hier nicht gewesen seit 1735! An solchen Tagen wo der Nordwestwind am schneidendsten war, habe ich mich im Hause gehalten, sonst bin ich aber regelmäßig ausgegangen u. verhältnißmäßig gut über all das schlechte u. strenge Wetter hingekommen. Wegen unserer kurzen Jacken hättest Du Dich wirklich nicht zu sorgen brauchen. Wir haben einen Mantel oder Paletot nicht vermisst. Wir ziehen uns ja so warm am Leibe an. Überhaupt habe ich bei aller Kälte diesen Winter nicht so gefroren u. gefröstelt wie in vergangenen Jahren, was mich bei der gelegentlichen Rückkehr kleiner alter Übel tröstet, indem es ein Zeichen von dickerem u. besserm Blute ist.
Mit Idas Gesundheit ist es in der letzten Zeit nicht sehr gut gegangen. Sie hat viel über die alten Schmerzen geklagt u. hat mir Sorge gemacht. Sie ist leider nicht vorsichtig genug u. muthet sich häufig zu viel zu. So hat sie heute z. B. ein paar Stuben ausgekehrt, was ihre Arbeit gar nicht ist, u. hat den ganzen Vormittag gefegt u. gesäubert. Dann
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ist so allemal kaput u. niedergeschlagen. So oft ich sie schon gewarnt, thut sie es immer wieder. Sie verwöhnt dadurch auch die Köchin, welche an u. für sich schon faul genug ist u. sich die Arbeit so leicht als möglich macht. Wenn sie nicht das Kochen so vorzüglich gelernt hätte, würde ich sie schon längst fortgeschickt haben. Seit Dezember, wo ich sie nahm u. sie damals gar nichts konnte, hat sie gelernt ein Mittagsmahl von 3 - 4 Gängen (wenn wir Gäste haben, deren wir aber nur über 4 - 5 einladen) perfekt zubereitet auf den Tisch zu liefern, u. zwar ohne daß ich darauf sehe. Das ist viel werth u. kommt in Amerika nicht oft vor.
Ich werde froh sein, liebe Mutter, wenn erst dieser Monat zu Ende ist. Du wirst dann vielleicht eher Ruhe im Gemüth finden. Es sind die jetzigen schwere Tage für uns, aber besonders für Dich. Wenn Du nur nicht wieder krank bist von all der Trübsal, das Dir jetzt im Gedächtniß lebt! Lilian sendet der lieben Großmama herzliche Grüße. Auch Ida empfiehlt sich Dir bestens. Grüße Hans u. die Kinder recht freundlich von Deiner Dich innig liebenden Tochter Marie.
*Footnote page 1: hom = homöopathischen.
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