Collection: Marie Hansen Taylor Correspondence
Author: Marie Hansen (Taylor)
Recipient: Lina Braun (Hansen)
Description: Letter from Marie Taylor to Lina Hansen, March 10, 1875.
Original text
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New- York, 31. West 61st St. März 10. 1875
Meine liebste Mutter!
Recht vielen Dank für Deinen lieben Brief vom 15. v. Mts.*, der mir doch nun bessere Nachrichten über Deine Gesundheit brachte. Ohne Sorge aber bin ich deswegen nicht um Dich. Es ist eine trübe Zeit der Erinnerung für uns, u. Dich besonders für die nächste Zukunft - u. für die Gegenwart. Dann fürchte ich auch das Frühjahr wird Euch noch Schnee u. Kälte bringen, da sich ein milder Winter gewöhnlich auf diese Weise noch geltend macht, u. Dir thäte vor allem jetzt ein freundliches Klima, Sonnenschein u. laue Luft noth. Wir sehnen uns hier, ach, so sehr nach dem Frühling. Nach den milden Tagen am Ende Februar, brach der Märzmonat an mit dem grausigsten Schneegestöber, u. nicht einen Tag lang, nein, fast in einem fort bis vorgestern! Die Sonne hat jetzt schon soviel Macht, daß es am Tage nicht mehr friert, folglich ist diese Unmasse gefallener Schnee in einem beständig schmelzenden Zustand u. die Straßen so, daß sie sich nicht beschreiben lassen, auf manchen Stellen fußtiefes*
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schmutziges Schneewasser, an andern Stellen fußhoher schwarzer Schneeschlamm - ganz entsetzlich. Lilian ist durch diese ungünstigen Witterungsverhältnisse öfters am Schulbesuch verhindert worden. Vorgestern versuchte sie dahin zu gehen, kam aber bald zurück, weil das Wasser ihr in die Stiefel gelaufen war. Bayard hat natürlich auch vielfach vom bösen Wetter zu leiden gehabt, während ich in letzter Zeit, der Nässe wegen, nicht gewagt habe anders als zu Wagen - u. das ist ein theures Vergnügen - auszugehen.
Über Elisabeths allerliebste Briefchen habe ich mich sehr gefreut, u. was für Fortschritte sie gemacht hat! Sie ist ein geschicktes, liebes Wesen, u. Grethchen auch. Danke Hans in meinem Namen für den Zettel mit der gewünschten Auskunft. Wenn Auwers wirklich eine Venus - Atmosphere be- weisen könnte, so wäre seine Expedition eine höchst glückliche zu nennen. Wie geht es denn seiner Frau? - Wie schrecklich kalt sie es doch diesen Winter
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auf Pulkowo haben! Wir haben schon bei 15° K. es kaum ertragen können. Sehr froh war ich zu hören, daß Wilhelm einen Besuch bei Dir vorhatte. Du hast Dich hoffentlich auf diese Weise über alles unterrichten können, was brieflich nicht geschehen war.
Endlich habe ich nun auch Gelegenheit gehabt Deine kleinen Geschenke an Mrs. White abzugeben. Sie macht mir nämlich eben einen Besuch. Sie kam vor 8 Tagen u. geht von hier auf Besuch nach Kennett. Ich habe seit kurzem eine Kammer von Mrs. Putnam, welche über uns wohnt, gemiethet, u. bin so in den Stand gesetzt eine oder zwei Logirgäste zu haben, was mir sehr lieb ist. Für die Osterwoche, in welcher Lilian Ferien hat, beabsichtigte ich einen Gast für sie einzuladen, eine Verwandte ihres Alters von Wilmington. Sie hat im Ganzen so wenig geselligen Umgang, daß ich ihr gern auf diese Weise eine Unterhaltung biete. Bayard geht nun zu Ende dieses Monats wieder auf drei Wochen nach dem Westen, was auch eine stille Zeit für uns sein wird. Ich bin übrigens zur Überzeugung gekommen, daß wir zu weit entfernt vom Mittelpunkt der Stadt wohnen. Die Entfernungen sind gar
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zu groß in jeder Beziehung, u. obgleich unser Logis im Ganzen angenehm u. gemüthlich ist, sind doch so manche Schattenseiten damit u. dem Hause überhaupt verbunden, daß ich ernstlich an eine andere Wohnung für nächsten Herbst denke. Die Idee sobald wieder einen Umzug vornehmen zu müssen, ist mir schrecklich, allein auf die Dauer könnten wir, des beschränkten Raumes wegen, doch nicht hier wohnen bleiben. Bayard kann z. B. hier seine Bibliothek nicht aufstellen, u. ich glaube nicht, daß er sich viel länger ohne dieselbe zufrieden fühlen wird.
Lilian lässt Dich herzlich grüßen u. Dir für die Hamburger Photographien freundlichst danken. Du hattest bis jetzt nicht erwähnt, daß sie für L. bestimmt waren. Hoffentlich [insertion:] wird [/insertion] unser kleines Kästchen pünktlich zu Deinem Geburtstag ankommen. Dadurch, daß ich es versiegelt, sollte es so schnell wie ein Brief gehen. Ohne Siegel wäre das [insertion:] Porto [/insertion] nur so hoch wie ein 3facher Brief gewesen - ist das nicht wunderbar billig! Da ich noch ein paar Worte an E. schreiben möchte, muß ich jetzt schließen, mit herzlichster Liebe Deine Tochter Marie.
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Ida fragt immer theilnehmend nach Dir u. trägt mir viele Empfehlungen an Dich auf.
*Footnote page 1: v. Mts. = vom Monat.
*Footnote page 1: '2328' penciled in.
Letter metadata