Collection: Marie Hansen Taylor Correspondence
Author: Marie Hansen (Taylor)
Recipient: Lina Braun (Hansen)
Description: Letter from Marie Taylor to Lina Hansen, December 8, 1871.
Original text
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New York, 12 University
Place
Dec. 8. 1871
Meine liebste Mutter!
Mit meiner Betrübniß über Dein peinliches Unwohlsein, muß ich zugleich den Dank aussprechen, welchen ich für die gute Tante Auguste empfinde, dass sie mir so treulich Nachricht von Dir gegeben hat. Ich erhielt diesen Morgen beim Frühstück ihren zweiten Brief, der umso willkommener war, da wir heute des lieben Vaters Geburtstag feiern. Meine arme Mutter, dass Du wieder so hast leiden müssen! Doch hoffentlich bist Du jetzt wieder ganz von Deinem Leiden befreit u. im Stande mir bald selbst ein paar Zeilen zu schreiben. Wer weiß ob nicht die Impfung einen Krankheitsstoff auf diese Weise aus Dir herausgetrieben hat. Du erinnerst Dich vielleicht wie sehr böse Bayard's Arm damals war, als wir uns in Rom hatten impfen lassen u. deshalb will er sich auch entschieden nie wieder impfen lassen u. er ist daher der einzige in unserm Hause der sich jetzt nicht geimpft worden ist. Denn auch hier zu Lande sind die Blattern
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diesen Herbst sehr allgemein, u. da sogar 2 Fälle in Kennett vorkamen, ließ ich den Arzt kommen u. wir alle außer B., sogar die Dienstboten, wurden geimpft, allein nur bei unsern beiden Negern kamen die Schutzpocken ordentlich. Durch meine Krankheit sehe ich dass manche Lücke in den Nachrichten entstanden ist, die Du von Cedarcroft erhalten hast. Wie es kam dass Bayard während ich krank war, fort musste, habe ich Dir schon längst gesagt. Meine Schwiegermutter aber gab ihre Reise nach Kansas ganz auf um mich zu pflegen. Am Sonntag legte ich mich u. Tags darauf reiste Emma mit Familie ab. Mutter Taylor bleib u. pflegte mich mit großer Aufopferung denn ihren steifen Knieen wurde es oft sehr schwer Dienste zu leisten.
Ich habe das Packen u. die Fahrt hierher vorige Woche weit besser überstanden als ich g erwartet hatte. Wir kamen vorigen Sonnabend hier an, gerade zur rechten Zeit, da wir seitdem die grimmigste Kälte gehabt haben, für Anfang Dec. ganz unerhört. Wir stiegen
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im Hotel ab u. sahen uns dann Montag nach einem permanenten Logis um, fanden es auch gleich, uns sehr zusagend, bei einer deutschen Wittwe, u. zogen vorgestern da ein. Wir haben was man hier den "Parlor-Flur" nennt u. der drei Zimmer, eins hinter dem andern enthält, das mittelste unser Schlafzimmer, vom hintersten aus beleuchtet u. dieses letztere ein kleines, wie ein weiter Erker ausgebautes Gemach, welches Bayard zum Arbeitszimmer dient. Dann haben wir noch eine hübsche, freundliche Stube im 3ten Stock für " Lilian u. die alte Charlotte, welche ich für diesen Winter wieder engagirt habe. Sie soll besonders nähen u. mit Lilian ausgehen, wenn ich nicht kann. Wir bekommen die Kost im Hause u. zwar haben wir, eine große Annehmlichkeit, unsern eigenen Tisch u. sehr gute, z. Th. deutsche Küche. Für all dies nebst Gas u. Feuer, bezahlen wir 100 Dollars die Woche u. dürfen uns schmeicheln es dafür billig zu haben. Für Lilian's Unterricht habe ich be-
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reits einleitende Schritte gethan alles ist aber so weitläufig hier, die Distanzen so enorm, dass noch gut eine Woche vergehen kann ehe ich alles Erforderliche im Gang habe. Heute beabsichtige ich ein Klavier zu miethen, u. verschiedene nothwendige auf den Stadtaufenthalt verschobene Einkäufe zu machen. Das Wetter ist hell u. sonnig u. kalt. Vor rauher Luft muß ich mich immer noch hüten. Ich bin recht froh dass ich nun hier u. für den Winter etablirt bin. Die Stadt gefällt mir besser als je. Hier kann man ausgehen bei schlechten wie bei gutem Wetter - auf dem Lande aber waren die Wege schon so entsetzlich, dass es sogar eine Tortur war aus zu fahren. Und so vielerlei, dessen man bedarf, kann man hier ohne Mühe sich gleich verschaffen, während wir zu Hause es entweder entbehren, oder aus der weit entfernten Stadt kommen lassen müssen. Denn das Leben u. Treiben der großen Stadt, die prächtigen Schaufenster der Läden, die ganze Atmosphäre der Weltstadt, ist so anregend, so großartig u. wohlthuend, - kurz ich fühle mich heimisch hier.
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2) Sodann - u. das ist ja wohl eigentlich die Hauptsache - haben wir viele gute, liebe Freunde hier, die kaum unsere Ankunft vernommen, herbeieilen u. uns ihre Freude über die Rückkehr zur Stadt ausdrücken. Hier finden wir warme Sympathie, können wir über Dinge uns unterhalten, die uns geistig beschäftigen, finden wir Nahrung für unsere eigensten Interessen - von dem allen ist auf dem Lande wenig oder nichts.
Heute ist ein Tag an dem wir viel Eurer gedenken; vorhin beim "lunch" sagte Lilian: "Jetzt gehen die Enkelchen wahrscheinlich wieder zu Hause." Bayard arbeitet hier bereits fleißig. Er hat zwei literarische Unternehmungen vor, welche ihm reichlich an Gewinn einbringen, ohne viel Kopfbrechen zu kosten, was zur Abwechselung auch ganz gut ist. Sage der lieben Tante Auguste, dass ich ihr in den nächsten Tagen selber danken würde für ihre lieben Briefe. Heute beeile ich mich diesen Brief an Dich noch zur Post zu bringen, damit morgen der Bremer
[left margin:] Lilian schicken herzliche Grüße. Deine Dich innig liebende T. Marie
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Dampfer ihn mit über's Meer nehmen kann. Dabei fällt mir ein, dass er wohl eigentlich zu Weihnacht in Deine Hände gelangen wird. Im Trouble des Umzugs u. der Einrichtung hier, war es mir entfallen, dass Weihnacht schon so s nahe ist. Nun gebe Gott Euch ein " gesundes " u. freundliches Fest! Wir feiern es seit 6 Jahren zum erstenmal wieder in der Stadt, u. ich werde die Freude haben einen Baum nicht allein für Lilian, sondern auch für Lorrie Stoddard anzuzünden. Er wird Montag 8 Jahre alt, ist aber so klein u. zart gebaut, dass man ihn nur für 6 hält. Was mir aber ernstliche Sorge einflößt, ist der kranke Zug den er diesen Winter um seinen Mund hat. Noch nie hat er so bleich u. dünn ausgesehen. Dabei ist er von einer oft fieberhaften Lebendigkeit u. der kleine Kopf bringt die phantasiereichsten Einfälle zu Tage. Er u. Llilian sind wie Geschwister zusammen. Er hat auch eine große Liebe für Bayard u. mich. Grüße innigst den lieben Vater u. alle andern Lieben. Was machen
[left margin:] seine Augen? u. wie geht es Ida? Bayard u.
Letter metadata